Details
«Gesundheitskosten während der Pandemie: Schweiz und Kantone im Vergleich»
Alter beeinflusst Kostenwachstum nur bedingt
Je älter eine Gesellschaft, desto höher die Gesundheitskosten. Wird über die Prämienlast in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) diskutiert, ist dieses Argument oft zu hören. Doch: Stimmt es auch? santésuisse hat den Einfluss des Faktors Alter untersucht und ist dabei zu überraschenden Erkenntnissen gelangt. Details bietet die neue Sonderpublikation «Gesundheitskosten während der Pandemie: Schweiz und Kantone im Vergleich».
Im Kanton Tessin leben besonders viele Seniorinnen und Senioren, in der Sonnenstube der Schweiz liegt das Durchschnittsalter bei 46 Jahren. Am anderen Ende der Statistik befinden sich Kantone wie beispielsweise Waadt mit einem Durchschnittsalter von jungen 41 Jahren. Dieser Unterschied ist deutlich und wirkt sich selbstverständlich auf die Gesundheitskosten aus. Denn: Ältere Menschen gehen häufiger zum Hausarzt, benötigen im Schnitt mehr Therapiestunden, Medikamente und Pflegeunterstützung. All diese Leistungen kosten Geld und gehen stark zulasten der sozialen Krankenpflegeversicherung. Aber: Ist das Alter auch der entscheidende Faktor, um das Wachstum der Kosten und damit der Prämien zu erklären? santésuisse hat den Alterungseffekt quantifiziert und – basierend auf der Statistik zum Risikoausgleich – berechnet, wie stark die Kosten ohne Alterseffekt gestiegen wären. Das Ergebnis lässt aufhorchen.
Zwischen 2012 und 2019 sind die Gesundheitskosten in der Schweiz pro Kopf um 676 Franken angestiegen, von 3138 auf 3814 Franken. Jedoch können nur gerade 22 Prozent dieser Mehrkosten mit einem «natürlichen» Kostenwachstum, also der Alterung der Gesellschaft, erklärt werden. Somit trifft das Argument, «je älter die Gesellschaft, desto höher die Gesundheitskosten», nur bedingt zu. Die restlichen 78 Prozent sind auf andere Faktoren zurückzuführen. Ins Gewicht fallen beispielsweise der Einsatz von innovativen medizinischen Technologien, Medikamenten oder die steigende Anspruchshaltung der Versicherten. Zu grossen Kostenunterschieden führen nicht zuletzt auch die unterschiedlichen Strukturen des Gesundheitswesens in den Kantonen. Faktoren wie Tarife, Spital- und Ärztedichte spielen hier eine zentrale Rolle und wirken sich ebenfalls stark auf die Kosten aus.
Kanton Tessin: Hohe Pflege und Therapiekosten
Besonders ausgeprägt wirkt sich der Faktor Alter auf die Gesundheitskosten im Kanton Tessin aus. Hier liegen die Bruttoleistungen zulasten der OKP, welche durch die Spitex erbracht werden, um satte 72,1 Prozent höher als im Schweizer Durchschnitt. Auch die Leistungen der Pflegeheime (+ 58,3 Prozent) und der Physiotherapeuten (+ 41,2 Prozent) sind weit über dem Durchschnitt. Ohne den Faktor Alter sieht das Bild ganz anders aus. Dann liegen die Nettoleistungen im Kanton Tessin pro versicherte Person nur noch bei 3566 statt 3999 Franken – und damit fast im Schweizer Durchschnitt (3473 Franken pro Kopf und Jahr).
Kanton Bern ist Durchschnitt
Ähnlich die Situation im Kanton Bern: Auch hier sind die altersbereinigten Kosten pro Person knapp unter dem Landesdurchschnitt, statt knapp darüber. Andererseits verharren die Kosten im Kanton Neuenburg auch nach altersbedingter Bereinigung (3914 Franken) im Vergleich zu den tatsächlichen Kosten (3978 Franken) nur geringfügig tiefer. In den Kantonen Genf und Waadt liegen die Kosten sogar noch höher als heute, wenn sie um den Faktor Alter bereinigt werden. Insgesamt gilt: In einigen Kantonen mag die Demografie das höhere Kostenniveau grösstenteils erklären, in anderen gar nicht. Bei Kantonen mit ähnlicher Altersstruktur sind die Kostenunterschiede pro Person zum Teil erheblich und auf ganz andere Faktoren zurück zu führen als auf das Alter.