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14.01.2020

Reformen mit Erfolgspotenzial

Aufbruchs-Chancen

Es gibt sie, die sinnvollen und tauglichen Massnahmen, um Kostenspirale und Prämienlast in den Griff zu bekommen. Dazu gehören bessere Wirtschaftlichkeit und Leistungsqualität, mehr Wettbewerb sowie eine sinnvolle Koordination des Leistungsangebots – um nur einige zu nennen. Nachfolgend eine Auslegeordnung aus der Optik der Krankenversicherer.

Der Ruf nach Reformen im Gesundheitswesen ist allgegenwärtig. Im Zentrum der Diskussionen stehen in der Regel zwei Themen: die (zu hohen) Kosten unseres Gesundheitssystems sowie die (zu hohen) Prämien, welche das Budget der Versicherten strapazieren. Durchgesetzt hat sich immerhin die Erkenntnis, dass es sie nicht gibt, die Reform, die alles zum Guten wendet. Den am System beteiligten Akteuren wird zunehmend bewusst, dass nur exakt aufeinander abgestimmte ordnungspolitische Massnahmen den Durchbruch bringen können. Wobei es in der Natur der Sache liegt, dass sich über deren Ausgestaltung, Dringlichkeit sowie Opportunität die Geister scheiden. Nachfolgend sei aufgezeigt, in welchen Bereichen die Krankenversicherer ihre Prioritäten und Hoffnungen setzen, um Gesundheitskosten und Prämienbelastung nachhaltig einzudämmen. Ohne dabei die Errungenschaften unseres liberalen, auf einem Qualitätswettbewerb basierenden Gesundheitssystems zu gefährden.

Aufbruchs-Chancen

  • Wirtschaftlichkeit und Leistungsqualität

Die vom Parlament kürzlich verabschiedete Revision des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) zur Stärkung der Qualität und Wirtschaftlichkeit medizinischer Behandlungen legt den Grundstein für mehr Patientensicherheit und Kosteneffizienz. Jetzt braucht es:

    •  Qualitätskonzepte, die sich an der Ergebnisqualität messen.
    • Leistungserbringer, die den Qualitätsprozess aktiv unterstützen mit einheitlichen, transparent kommunizierten, verpflichtenden Vorgaben für evidenzbasierte, ergebniskontrollierte Behandlungspfade.
    • Sanktionsmöglichkeiten gegen Leistungserbringer, welche sich nicht an die vereinbarten Qualitätsstandards halten.
    • Qualitätsvereinbarungen in allen Tarifstrukturverträgen.
    • Systematische Überprüfungen des Leistungskatalogs, um unwirksame Leistungen zu identifizieren und von der Grundversicherung auszuschliessen.
  • Wettbewerb

Die Schweiz bekennt sich zu einem wettbewerblichen Gesundheitssystem. Allerdings wird dieser Wettbewerb mit jeder unnötigen Regulierung, mit jedem falschen Anreiz, mit jeder indirekten Finanzierung zum Lippenbekenntnis. Ein freiheitliches, wettbewerbliches System bedingt:

    • Transparente, flächendeckende Information über die Qualität der erbrachten medizinischen Leistungen, als Grundlage für den Qualitätswettbewerb zwischen den Leistungserbringern.
    • Eine Lockerung des Vertragszwangs, um die schwarzen Schafe unter den Leistungserbringern von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) auszuschliessen.
    • Deregulierung bei integrierten Versorgungsmodellen: Mehr Freiheit bei der Ausgestaltung der Tarife, weniger Einschränkungen bei der Ausgestaltung der Verträge mit Leistungserbringern.
    • Aufhebung des Territorialitätsprinzips für Medikamente sowie Mittel und Gegenstände, Ermöglichung von Parallelimporten.
    • Mehr Freiheiten für die Krankenversicherer bei der Ausgestaltung innovativer Versicherungsmodelle.

  • Kosten und Finanzierung

Das vom Bundesrat initiierte Kostendämpfungspaket ist ein guter Ansatz zur Eindämmung der Kostenspirale. Konkrete Einsparungen dürfte unter anderem die Einführung eines Referenzpreissystems für Generika bringen. Generell gilt es jetzt, die Ausgestaltung und Umsetzung der vorgeschlagenen Massnahmen zu konkretisieren, zu ergänzen und zu Gunsten der Prämienzahlenden voranzutreiben. Was es ausserdem braucht:

    • Weitergehende Massnahmen im Medikamentenbereich. Dazu gehören innovative Modelle für die Vergütung neuer, teurer Therapien sowie entsprechende Kosten-Nutzen-Schwellenwerte als Entscheidungsgrundlage für die Versicherer.
    • Praxistaugliche, kostendämmende Alternativen zum Einzelleistungstarif im ambulanten Bereich, welche dem «Ambulantisierungs- Trend» Rechnung tragen, Fehlanreize beseitigen und soziodemografisch nicht erklärbaren Mengenausweitungen den Riegel schieben. Zentral ist es, die Entwicklung ambulanter Pauschaltarife auf ein möglichst grosses Spektrum des ambulanten Leistungsangebots auszuweiten. Dabei ist darauf zu achten, dass die Rechnungen für Patienten und Versicherer verständlich, transparent und nachvollziehbar sind.
    • Ein Vorantreiben der einheitlichen Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen (EFAS). Nicht zielführend – weil massiv prämienrelevant – ist hingegen die Forderung der Kantone, den Systemwechsel auch auf die Langzeitpflege auszudehnen. Hierfür braucht es neue Finanzierungsmodelle ausserhalb der Grundversicherung.
    • Zurückhaltung bei Vorhaben und «Reformen », welche die soziale Krankenversicherung be- statt entlasten. In diese Kategorie fallen unter anderem Begehrlichkeiten wie die Besserstellung der Pflegenden, die Erweiterung kassenpflichtiger Leistungen oder Tarifforderungen bestimmter Facharztgruppen.

  • Leistungsangebot und Leistungskontrolle

95 Prozent des Prämienvolumens dienen zur Deckung der medizinischen Leistungskosten. Allerdings herrscht in Fachkreisen längst Einigkeit darüber, dass rund 20 Prozent der erbrachten Leistungen unnötig oder für den Patienten gar schädlich sind. Diese kostspielige Überversorgung gilt es zu lokalisieren und zu benennen. Die Instrumente hierfür:

    • Wirkungsvolle Zulassungssteuerung von Leistungserbringern; vom Bund vorgegebene verbindliche Höchstzahlen für die Zulassung in- und ausländischer Ärzte in den Kantonen. Ausdehnung der Zulassungsbeschränkung auf die Spitalambulatorien.
    • Überkantonale Koordination des stationären wie ambulanten Leistungsangebots. Einräumung eines Beschwerderechts für die Krankenversicherer, wenn eine solche nicht stattfindet und zu Überkapazitäten führt.
    • Frei wählbare Vertragspartner: Eine Lockerung des Vertragszwangs hätte zur Folge, dass die Leistungen gewisser Ärztinnen und Ärzte nicht mehr durch die Grundversicherung zu vergüten sind.
    •  Intensivierung der Anstrengungen, um missbräuchliche Tarifanwendungen und Leistungsabrechnungen zu identifizieren und zu sanktionieren.
  • Digitalisierung und Effizienz

Der Nutzen elektronisch verfügbarer Patienten- und Krankheitsdaten für mehr Patientensicherheit und effizientere Arbeitsabläufe ist unbestritten: Doppelspurigkeiten werden vermieden, Befunde sind vermerkt, Röntgenbilder abrufbar und die aktuelle Medikation einsehbar. Das Problem: In der Schweiz geht es punkto digitalisierte, Leistungserbringer- übergreifende Gesundheitsdaten nur langsam – zu langsam – voran. Das muss sich ändern:

    • Ein elektronisches Patientendossier, beschränkt auf den stationären Bereich, ist nicht zielführend. Auch Ärzte in Privatpraxen sind zur Digitalisierung der Patientendaten zu verpflichten.
    • d Die elektronische Rechnungsstellung an die Krankenversicherer ist flächendeckend umzusetzen.
    • Es sollte möglich sein, in alternativen Versicherungsmodellen Leistungserbringer und Versicherte zur Eröffnung und Führung eines elektronischen Patientendossiers zu verpflichten.
  • Die Zeichen stehen auf Aufbruch

Einschneidende gesundheitspolitische Reformvorschläge – egal aus welcher Ecke sie kommen – haben es nicht leicht. Deren Durchsetzung verlangt in der Regel einen langen Atem, weil die Interessen der am System beteiligten Akteure einander oft diametral entgegengesetzt sind. So kommt es, dass wichtige Reformvorhaben zu «unendlichen Geschichten» werden, deren Fortsetzungen auf sich warten lassen. Allerdings, und das lässt hoffen, ist im Parlament in jüngster Zeit in mehrere zentrale Geschäfte Bewegung gekommen. Beispiele hierfür sind die Zulassungssteuerung von Ärztinnen und Ärzten, die einheitliche Finanzierung ambulanter und stationärer medizinischer Leistungen oder die Einführung eines Referenzpreissystems für Generika. Die Schlusskapitel dieser möglichen Aufbruchs-Geschichten sind noch nicht geschrieben. Die Ernsthaftigkeit und Dringlichkeit, mit der die Diskussionen derzeit geführt werden, sind aber ein gutes Zeichen.

  • Mut zum Experiment?

Dieselbe Ernsthaftigkeit verlangt auch die Beratung der vom Bundesrat vorgeschlagenen Kostendämpfungsmassnahmen: Paket eins ist Ende Sommer 2019 dem Parlament zur Beratung überwiesen worden; Paket zwei soll Anfang 2020 in die Vernehmlassung gehen. Besonders interessiert in diesem Zusammenhang die Frage, was aus dem «Experimentierartikel » wird, der als Teil des ersten Massnahmenpakets diskutiert wird. Dieser soll – ausserhalb des engen Rahmens des Krankenversicherungsgesetzes – kostendämpfende Pilotprojekte ermöglichen. Die Option zu zeitlich befristeten, kontrollierbaren «try and error»-Reformen müsste sich eigentlich positiv auf die Innovationsbereitschaft aller Akteure im Gesundheitswesen auswirken. Vom Mut zum Experiment, von der Bereitschaft, der Innovation in ausgewählten Bereichen eine Chance zu geben, könnten dadurch auch Reformvorhaben profitieren, die den Rahmen des heute Denkund Machbaren sprengen.

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