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13.11.2020

Gastbeitrag Prof. Dr. Simon Wieser

Der steile Weg zu einem effizienten Gesundheitswesen

Wenn wir zu viel für etwas ausgeben, dann kaufen wir entweder zu viel davon oder wir zahlen einen zu hohen Preis. Für unser Gesundheitswesen trifft beides zu.

Der wichtigste Grund für die unnötigen Ausgaben sind unnötige Behandlungen und Untersuchungen. Gemäss unserer Studie „Effizienzpotenzial in der OKP“ könnten wir schweizweit auf jede zehnte Behandlung verzichten, ohne die Gesundheit der Bevölkerung zu beeinträchtigen. Dabei unterscheiden wir erstens unnötige Leistungen, die gemäss dem heutigen Stand der medizinischen Forschung unwirksam sind und deshalb nicht durchgeführt werden sollten, zweitens unnötige Leistungen, die aufgrund mangelnder Koordination zwischen den Leistungserbringern doppelt durchgeführt werden, und drittens unnötige Leistungen, die von den Versicherten zu oft nachgefragt oder den Anbietern zu oft verordnet werden. Dabei ist diese Übernachfrage für den überwiegenden Teil der unnötigen Behandlungen und Untersuchungen verantwortlich. Daneben spielen aber auch die überhöhten Preise eine wichtige Rolle. So schätzen wir, dass die Preise der Gesundheitsleistungen um 7 Prozent sinken könnten, wenn alle Leistungsanbieter effizient arbeiten und die Medikamentenpreise ans Ausland angepasst würden.

Alles in allem geben wir jährlich 850 bis 1000 Franken pro Person, oder 16 bis 19 Prozent der von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) mitfinanzierten Leistungen, für unnötige und überteuerte Gesundheitsleistungen aus. Dabei ist dies eine eher konservative Schätzung des Effizienzpotenzials im Gesundheitswesen. So konnten wir etwa die Kosten von zwei weiteren möglichen Ineffizienzen, die Kostenfolgen von administrativen Ineffizienzen und von Behandlungsfehlern, aufgrund mangelnder Informationen nicht berücksichtigen.

Aber wie liesse sich das Effizienzpotenzial tatsächlich realisieren? Obwohl dies nicht die Fragestellung der Studie war, lassen sich aus der Art, auf die wir einzelne Ineffizienzen berechnet haben, mögliche Strategien ableiten. Einige Beispiele dazu:

  • Das Ausmass der unnötigen Nachfrage nach Gesundheitsleistungen durch die Versicherten haben wir auf der Grundlage einer Studie zum Nachfrage-Effekt von höheren Franchisen ermittelt. Eine mögliche Strategie gegen die Übernachfrage der Versicherten ist also eine höhere Kostenbeteiligung.
  • Das Ausmass der von Ärzten erbrachten unnötigen Leistungen haben wir auf der Grundlage einer Studie zu den Auswirkungen eines Wechsels der Vergütung von Einzelleistungen zu Pauschalen abgestützt. Eine mögliche Strategie gegen die Verschreibung von unnötigen Behandlungen und Untersuchungen wäre also eine stärkere Pauschalisierung der Vergütung der Leistungserbringer, zum Beispiel im Rahmen von Managed-Care-Modellen mit Budgetverantwortung.
  • Das Ausmass der produktiven Ineffizienzen der Spitäler und Pflegeheime haben wir anhand eines Benchmarking der schweregradbereinigten Fallkosten am 30. Perzentil ermittelt (wenn wir 100 Spitäler nach aufsteigenden Fallkosten ordnen, entspricht dies den Kosten des dreissigsten Spitals). Eine mögliche Strategie gegen zu hohe Preise bei den stationären Behandlungen wäre also eine Festlegung der Preise beim 30. Perzentil.

Diese und weitere mögliche Strategien gegen unnötige Behandlungen, Untersuchungen und überhöhte Preise würden aber wohl auf grossen Widerstand stossen. So sind bereits mehrere Anläufe für höhere Franchisen gescheitert, und auch die eigentlich nicht sehr einschneidende Managed-Care-Initiative wurde vor einigen Jahren mit grosser Mehrheit an der Urne verworfen. Und ein noch stärkerer Preisdruck auf die Spitäler würde wohl zu weiteren Spitalschliessungen führen, was politisch nicht einfach umzusetzen wäre. Ein effizienteres Gesundheitswesen heisst eben auch, dass der gewohnte und oft sehr komfortable Zugang der Bevölkerung zum Gesundheitswesen eingeschränkt werden müsste – etwa durch eine Einschränkung der freien Arztwahl, eine noch höhere Kostenbeteiligung oder längere Wege bis zum nächsten Spital. Schmerzlose Wege zu einem effizienteren Gesundheitswesen gibt es nur wenige.

Prof. Dr. Simon Wieser, Institutsleiter Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie, Dozent ZHAW School of Management and Law

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