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27.04.2020

Psychologische Psychotherapie: Modellwechsel mit Kostenfolgen

Im Extremfall plus 500 Millionen

Es wird ins Geld gehen, wenn psychologische Psychotherapeuten künftig direkt zulasten der Grundversicherung abrechnen dürfen. Wie viel der Systemwechsel die Prämienzahlenden tatsächlich kosten könnte, wird jetzt in einer Studie quantifiziert.

Die Forderung ist gerechtfertigt: Zugelassene Psychotherapeutinnen und -therapeuten wollen ihre Leistungen im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) künftig selbstständig erbringen und auf eigene Rechnung abrechnen können. Immer unter der Voraussetzung, dass die Therapie von einem qualifizierten Facharzt verordnet wurde. So will es auch der Bundesrat und schlägt eine entsprechende Anpassung der Krankenpflege- Leistungsverordnung (KLV) vor. Heute dürfen Psychotherapeuten nur dann zulasten der Grundversicherung abrechnen, wenn sie in einer Arztpraxis angestellt und unter Aufsicht von Fachärzten – hauptsächlich Psychiater – tätig sind. Im Grundsatz unterstützt santésuisse eine Aufwertung des Psychologenberufs. Gleichzeitig warnte der Verband bereits in seiner Vernehmlassung zuhanden des Bundesrats vor den finanziellen Auswirkungen, welche ein Wechsel vom heutigen Verordnungsmodell hin zu einem Anordnungsmodell mit sich bringen würde. Eine Studie* des Beratungsunternehmens BSS Basel quantifiziert nun erstmals die Kostenfolgen des geplanten Systemwechsels und macht, wo dies nicht möglich ist, qualitative Einschätzungen über die Wirkungszusammenhänge.

100 Millionen reichen nicht

Dass ein Systemwechsel teuer wird, weiss auch der Bundesrat. Im seinem Verordnungsentwurf geht er von Mehrkosten von rund 100 Millionen Franken pro Jahr aus. Diese Grössenordnung ist allerdings zu optimistisch und nur kurzfristig plausibel. Sie berücksichtigt in erster Linie die Verlagerung der Leistungen vom privaten Bereich hin in die Grundversicherung. Ausser Acht gelassen werden entscheidende Faktoren wie die künftige Ausgestaltung der Tarife für die psychologische Psychotherapie oder die Konsequenzen einer möglichen Mengenausweitung. Im Extremfall, so kommt die BSS-Studie zum Schluss, könnten auf die Prämienzahlenden Mehrkosten von jährlich rund einer halben Milliarde Franken zukommen.

Darum gehts ins Geld

Nachfolgend sind einige der zentralen Gründe aufgeführt, weshalb die geschätzte halbe Milliarde zusätzlicher Kosten für den Wechsel vom Verordnungs- zum Anordnungsmodell einem teuren, aber realistischen Szenario entspricht und nicht mit Schwarzmalerei abgetan werden kann:

  • Umlagerung der Kosten: Aus der Verlagerung der heute privat finanzierten Kosten (Selbstzahlung und Zusatzversicherung) in die obligatorische Grundversicherung dürften jährliche Mehrkosten von rund 100 Millionen Franken resultieren. In diesem Punkt bestätigen die Berechnungen der Studie die Schätzung des Bundesamts für Gesundheit.
  • Erhöhung der Tarife: Geht es nach den Psychologinnen und Psychologen, sollen deren Leistungen künftig gleich hoch vergütet werden wie diejenigen der Psychiater. Heute kostet eine Stunde bei einem Psychologen rund 135 Franken und bei einem Psychiater rund 187 Franken. Eine derartige Lohnerhöhung allein würde gemäss Studie pro Jahr mit rund 330 Millionen Franken zu Buche schlagen.
  • Mengenausweitung: Bessere Arbeitsbedingungen sowie die Möglichkeit der Selbstständigkeit machen den Beruf des Psychologen, der Psychologin attraktiv. Was zu einer zusätzlichen Ausweitung des Angebots führen könnte, indem sich Studierende vermehrt für den Berufspfad Psychotherapie entscheiden. Ausserdem: Wenn Psychotherapeuten über die Grundversicherung abrechnen dürfen, wird es für Fachpersonen aus dem Ausland attraktiv, sich in der Schweiz niederzulassen. Die Anzahl der Leistungserbringer, welche zuhanden der OKP abrechnen können, steigt und mit ihr die Inanspruchnahme des Angebots, gerade auch im Falle von leichten psychischen Störungen.
  • Diese Effekte haben massive Kostenfolgen. Die Autoren rechnen damit, dass ohne einschränkende Massnahmen jährliche Mehrkosten in der Höhe von 500 Millionen Franken resultieren könnten.

Wie weiter?

Dass sich psychologische Psychotherapeuten zwingend im Angestelltenverhältnis zum verordnenden Arzt befinden müssen, um ihre Leistung zulasten der Grundversicherung abrechnen zu können, ist nicht mehr zeitgerecht. Diese Meinung vertritt auch santésuisse. Gleichzeitig ist es zwingend, dass ein Wechsel hin zum Anordnungsmodell nicht zu einer unbegründeten Zunahme des Leistungsvolumens führt und Prämienerhöhungen von einem Prozentpunkt oder mehr zur Folge hat. Entsprechend plädiert der Verband für eine Ergänzung der vom Bundesrat vorgeschlagenen Verordnungsänderung in den folgenden Punkten:

  • Die Anordnungskompetenz ist auf spezifisch qualifizierte Ärzte einzuschränken. Keinesfalls soll sie auf Leistungserbringer aus der erweiterten Grundversorgung – Allgemeine Innere Medizin, Neurologie, Gynäkologie und Geburtshilfe sowie Kinder- und Jugendmedizin – ausgeweitet werden.
  • Die Auswirkungen des Modellwechsels hinsichtlich Zugang und Qualität der psychotherapeutischen Versorgung sowie hinsichtlich der Kostenfolgen sind zwingend mittels Monitoring durch eine unabhängige Institution zu evaluieren. Auch sind Massnahmen für eine allfällige Anpassung der Tarife bei unerwarteten Kostenfolgen unter den Tarifpartnern zu vereinbaren.
  • Für den Fall einer übermässigen Mengenausweitung der psychologischen Psychotherapie mit entsprechendem Kostenanstieg sollen die Kantone oder die Versicherer verpflichtet werden, die Zahl der Therapeuten, die zulasten der OKP abrechnen dürfen, zu limitieren. Entweder durch eine konsequente Zulassungssteuerung durch die Kantone oder indem den Versicherern eine gewisse Vertragsfreiheit gewährt wird.
  • Einer übermässigen Kostensteigerung ist zwingend mit tarifarischen Massnahmen zu begegnen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Kostenfolgen des geplanten Systemwechsels von zwei entscheidenden Faktoren beeinflusst werden: der künftigen Höhe der Vergütung für die psychologische Psychotherapie sowie allfälliger Zulassungsbestimmungen. Für letzteres gilt, je aktiver die Zulassung gesteuert wird, desto besser lässt sich die Kostenentwicklung kontrollieren.  

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