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Expertenmeinungen zum Vorschlag des Bundesrates
Senkung der Reserven auf das gesetzliche Minimum ist realitätsfern
„Aus unternehmerischer Sicht unverantwortlich“
Als externe Expertin des Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat Dr. Alena Kouba den Solvenztest entwickelt, mit welchem der finanzielle Zustand eines Krankenversicherers beurteilt werden kann. Eingeführt wurde er im Jahr 2012, rückblickend bezeichnet Alena Kouba den damaligen Wechsel als eigentlichen Bruch mit der Vergangenheit: „Die statische Betrachtung der Reserveanforderungen an die Versicherer wurde durch eine dynamische Marktzahl abgelöst. Dieser Wechsel war wichtig und richtig. Das Marktumfeld verändert sich für den Versicherer laufend und ohne, dass er darauf einen Einfluss hat.“
„Solvenquote von 150 % als Minimum“
Bis dahin wurde vom BAG als Aufsichtsbehörde, abhängig von der Anzahl der Versicherten, ein fixer Betrag für die Mindestreserven verlangt. Im Gegensatz dazu orientiert sich der Solvenztest an den vielfältigen Risiken, denen ein Versicherer ausgesetzt ist. In die Berechnung fliessen Risiken ein wie eine negative Entwicklung der Aktien- und Finanzmärkte, aber auch ein unerwartetes Ereignis wie aktuell die Corona-Pandemie. Alena Kouba betrachtet für die in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) tätigen Kassen eine Solvenzquote (s. Kasten) von 150 Prozent als Minimum; freiwillig würde sie nicht darunter gehen.
Für die Existenzsicherung eines Krankenversicherers erachtet Alena Kouba ein Reservenpolster, das deutlich über der 100-Prozent-Grenze liegt, als unerlässlich: „Ein Krankenversicherer mit einer Solvenzquote von 100 Prozent kann alles richtig machen und trotzdem plötzlich durch äussere negative Einflüsse mit einer Quote von nur noch 30 oder 40 Prozent dastehen.“ Dass derzeit nur 6 von 56 Krankenversicherer unter 150 Prozent liegen, zeige, dass sie ihre Verantwortung wahrnehmen würden und die Zukunft ihres Unternehmens nicht freiwillig aufs Spiel setzen.
Dr. Alena Kouba, Externe Expertin des Bundesamt für Gesundheit (BAG)
„Ein fragwürdiger Eingriff in den Markt“
Prof. Dr. Martin Eling, Leiter des Instituts für Versicherungswirtschaft an der Hochschule St. Gallen, wählt seine Worte zur Vorlage des Bundesrates mit Bedacht: „Im Vergleich mit anderen Versicherungsbereichen und international ist das Vorhaben zumindest ungewöhnlich.“ Niemand sei so weit gegangen wie der Bundesrat nun gehen wolle. Als konkrete Beispiele nennt er die Lebens- und Zusatzversicherungen in der Schweiz und international. Mit 200 bis weit über 300 Prozent seien die Solvenzquoten (s. Kasten) hier durchs Band deutlich höher als in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP). „Der Wunsch nach einer tieferen Solvenzquote wurde von der Politik zwar deutlich formuliert. Wirtschaftlich betrachtet gehört diese Einflussnahme aber nicht zu ihren Aufgaben“, sagt Eling.
„Sicherheitspuffer muss sein“
Ab einer Solvenzquote von 100 Prozent und darunter spricht er gar von einem „Notfallszenario“, mit dem sich ein Versicherer konfrontiert sähe: „Jedes Unternehmen benötigt einen ausreichend hohen Sicherheitspuffer über 100 Prozent, um die normalen Schwankungen im Markt ausgleichen zu können.“ Dabei liegt die angemessene Reservenhöhe für jeden Krankenversicherer auf einem anderen Niveau. „Die Solvenzquote muss gewiss nicht in jedem Fall bei 350 Prozent liegen. Klar ist aber auch, dass die Diversifikation der Risiken nicht für alle Versicherer in gleichem Mass möglich ist. Daran muss sich die jeweilige Reservenpolitik orientieren.“ Aus diesem Grund dürfe auch die bisherige Freiwilligkeit zur Senkung der Reserven nicht ohne Not aufgegeben werden.
Prof. Dr. Martin Eling, Leiter des Instituts für Versicherungswirtschaft an der Hochschule St. Gallen