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«Unsere Arbeit ist notwendig und sinnvoll»
santésuisse setzt sich für einen wirtschaftlichen Umgang mit Krankenversicherungsprämien ein. Dank der von tarifsuisse durchgeführten Wirtschaftlichkeitsprüfungen werden auffällige Leistungserbringer, deren Kosten signifikant über dem Durchschnitt liegen, erkannt. Wir haben mit Alisha Imhof, Mandatsleiterin Wirtschaftlichkeitsprüfung, über die Herausforderungen ihrer Arbeit gesprochen.
Frau Imhof, Ihre Aufgabe ist es, im Auftrag der Krankenversicherer Geld von den Leistungserbringern zurückzufordern. Warum ist dies nötig?
Der Sinn unserer Arbeit bestätigt sich immer wieder von neuem. Wir überprüfen, ob ambulante Leistungserbringer wirtschaftlich arbeiten. Wir müssen jeweils pro Jahr gegen ca. 50 Ärztinnen und Ärzte vor Gericht eine Klage einreichen, weil wir uns aussergerichtlich nicht einigen konnten. Den weitaus grössten Teil der Gerichtsfälle gewinnen wir, und die Ärztin oder der Arzt muss Geld zurückzahlen. Das zeigt, dass die Krankenversicherer bzw. Prämienzahler und Prämienzahlerinnen oftmals Leistungen bezahlen, die sie eigentlich nicht bezahlen müssten.
Wie hoch ist denn der Betrag, den Sie so zurückholen können?
Im Schnitt fliessen pro Jahr etwa fünf Millionen Franken zurück an die Krankenversicherer respektive die Prämienzahlerinnen und Prämienzahler. Der präventive Effekt, den wir auslösen, dürfte noch viel grösser sein. Denn die Ärztinnen und Ärzte wissen, dass sie kontrolliert werden. Das entfaltet eine disziplinarische Wirkung. Wir schätzen, dass die Einsparungen durch diesen präventiven Effekt einen zweistelligen Millionenbetrag ausmacht.
Wie erkennen Sie, dass fehlerhaft abgerechnet wird?
Wir vergleichen einen Leistungserbringer im Vergleichskollektiv mit der jeweiligen Facharztgruppe gesamtschweizerisch. Eine Kardiologin oder ein Allgemeinmediziner wird also mit sämtlichen Kardiologinnen und Kardiologen oder eben Allgemeinmedizinerinnen in der Schweiz verglichen. So entdecken wir allfällige Auffälligkeiten bei ihrem Abrechnungsverhalten. Wir evaluieren die Regressionsberichte, betrachten die abgerechneten Positionen mit dem Tarifpool der SASIS AG und beschaffen uns zusätzliche Daten, um einen Fall beurteilen zu können. So machen wir uns ein Bild von der Situation.
Das klingt aufwendig. Wie gehen Sie vor, wenn sich die hohen Kosten dennoch nicht klären?
Wenn wir feststellen, dass sich die überhöhten Kosten noch immer nicht erklären lassen, schicken wir der Ärztin oder dem Arzt einen Brief. Bei weniger dramatischen Fällen reicht oft ein Brief mit dem Hinweis, dass der Arzt sein Leistungs- oder Abrechnungsverhalten anpassen muss, manchmal verlangen wir eine Stellungnahme. Das ist für die Ärztin oder den Arzt eine Chance, die Kosten zu erklären und allfällige Praxisbesonderheiten geltend zu machen. Er kann erklären, aus welchem Grund er teurer ist. Anhand einer solchen Stellungnahme können wir dann beurteilen, ob die Erklärung ausreicht, oder eben nicht. Wenn noch Unklarheiten bestehen, suchen wir das persönliche Gespräch mit dem Arzt bzw. der Ärztin.
Wie gehen Sie vor, wenn die Erklärungen nicht ausreichend sind?
Wenn sich trotz allem bis zu diesem Zeitpunkt die überhöhten Kosten noch immer nicht erklären lassen, stellen wir eine Rückforderung. Das heisst, wir verlangen von der Ärztin oder dem Arzt, dass er den Krankenversicherern als «Treuhänder» der Prämienzahlerinnen und Prämienzahler einen bestimmten Geldbetrag zurückzahlen muss, weil er unwirtschaftlich war in der Art seiner Behandlung bzw. Abrechnung. In einer solchen Rückforderung werden immer die von uns anerkannten Praxisbesonderheiten, die bis hierhin geltend gemacht wurden, berücksichtigt und, soweit nachvollziehbar und gerechtfertigt, abgezogen.
Gibt es auch Fälle, bei denen es nicht zum Gespräch kommt?
Manchmal erhalten wir auf unsere Briefe keine Antwort, und der Leistungserbringer weigert sich, mit uns zu kommunizieren. Dann reichen wir je nach Fall direkt Klage ein. Manchmal sind auch Gespräche nicht zielführend. Der Leistungserbringer hat zum Beispiel völlig unrealistische Vorstellungen, und wir finden keinen Vergleich. Dann reichen wir Klage ein und es kommt zu einem Gerichtsverfahren.
Können Sie uns diesen Weg vielleicht anhand eines konkreten Falles erläutern?
Wir hatten zum Beispiel den Fall eines Ophthalmologen, dessen Abrechnungen auffällig waren. Bei der Recherche haben wir festgestellt, dass er zwei ZSR-Nummern hatte, über welche er seine Leistungen abgerechnet hat: eine als AG und eine privat. Er teilte also die erbrachten Leistungen auf beide ZSR-Nrn. auf. Dies wird Kostensplitting genannt und ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht erlaubt, da es nicht nur eine realitätsnahe Wirtschaftlichkeitskontrolle, sondern auch die Rechnungskontrolle verhindert. Der Arzt wurde vor vielen Jahren bereits diesbezüglich verurteilt und musste Rückzahlungen in der Höhe von rund 500 000 Franken leisten, und vor einigen Jahren wurde er wieder, diesmal aufgrund von Patientenmeldungen, überprüft. Er wurde also bereits mehrfach auffällig, jetzt ist der Fall abgeschlossen. Der Arzt musste insgesamt Rückzahlungen in einem Umfang von fast 2 Millionen Franken leisten.
Wie stellen Sie die präventive Wirkung Ihrer Arbeit fest?
Die Ärztinnen und Ärzte haben im santésuisse-Onlineshop die Möglichkeit, den Regressionsbericht zu bestellen. Gestützt darauf erhalten wir nicht selten Rückmeldungen von Leistungserbringern, die bei Unklarheiten anrufen, damit sie vor einem Kontakt durch santésuisse Anpassungen machen können. Wenn sie zum Beispiel Praxisbesonderheiten haben, die Auswirkungen auf die Kosten haben könnten. Das sind Rückmeldungen, die uns zeigen, dass wir eine gewisse präventive Wirkung haben. Wir stellen auch fest, dass nach «Warnbriefen» unsererseits Anpassungen im Abrechnungsverhalten stattfinden oder nach Vergleichen auch wirklich die entsprechenden Auffälligkeiten wegfallen.
Was macht diese Arbeit mit Ihnen persönlich? Die Leistungserbringer reagieren bestimmt nicht immer verständnisvoll auf Ihre Forderungen?
Manche Leistungserbringer reagieren verständnisvoll, manche weniger. Es geht oft um sehr viel Geld; natürlich freut es den Leistungserbringer nicht, wenn wir intervenieren. Unsere Arbeit ist aber für die Prämienzahlerinnen und Prämienzahler sowie für die Krankenversicherer wichtig und sinnvoll. Das behalte ich immer im Hinterkopf, wenn es unangenehmere Fälle sind.