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Finanzierung der Kindermedizin
Versachlichung tut not
Er ist nicht zu überhören, der Ruf nach kostendeckenden Tarifen in der Kindermedizin. Die Diskussionen rund um höhere Fallpauschalen oder Taxpunktwerte werden derzeit ebenso emotional wie medienwirksam geführt. Nur: Der ungetrübte Blick in die aktuellen Tarifstrukturen relativiert die Forderungen der Mediziner.
Wenn Kinderspitäler Alarm schlagen, weil sie scheinbar vor dem finanziellen Kollaps stehen, so gehen die Emotionen hoch. Kranke Kinder, Kinder in Spitalbetten, angehängt an Infusionen und Überwachungsmonitoren, das berührt und macht – zu Recht – betroffen. Wer sein Herz auf dem rechten Fleck hat, wird die Forderung unterstützen, wonach die Leistungen der Kinderärztinnen und -ärzte, egal ob im Spital oder der Privatpraxis, zumindest kostendeckend zu tarifieren sind, damit die kleinen Patientinnen und Patienten optimal und altersgerecht behandelt werden können. Sachliche Diskussionen über Fallpauschalen, Taxpunktwerte und Effizienz – oder gar Ineffizienz – wirken angesichts kranker Kinder schnell pietätlos und technokratisch. Dennoch muss es im Interesse der Prämien- und Steuerzahlenden erlaubt sein, die emotional geführte Diskussion über das «Ausbluten der Kindermedizin» zu versachlichen; undifferenzierten Behauptungen müssen die Fakten gegenübergestellt werden. Nicht zuletzt deshalb, weil vier Standesinitiativen der Kantone St. Gallen, Thurgau, Basel-Stadt sowie Basellandschaft das Parlament auffordern, dafür zu sorgen, dass die erbrachten Leistungen für die eigenständigen Kinderspitäler und die in den Erwachsenenspitälern integrierten Kinderkliniken sowohl im ambulanten wie im stationären Bereich kostendeckend vergütet werden.
Kostendeckend oder sachgerecht?
Die Versachlichung verlangt zuerst eine klare Differenzierung zwischen ambulanten und stationären Tarifen: Leistungskosten für ambulant behandelte Kinder werden nach dem derzeit gültigen TARMED, stationäre Spitalkosten nach Fallpauschalen (SwissDRG) abgerechnet. Beide Tarifstrukturen haben separate Kapitel, welche die speziellen Bedürfnisse und Anforderungen der Kinder- und Jugendmedizin berücksichtigen und diese sachgerecht tarifieren, oder sie erlauben Zuschlagspositionen für die Kindermedizin. Sachgerecht heisst in beiden Fällen, dass die Tarife die Kosten dann decken, wenn diese wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich, also effizient, erbracht werden. Sachgerecht heisst hingegen nicht, dass betriebliche Ineffizienzen, die zu hohen, ungedeckten Kosten führen, durch die Prämienzahlenden finanziert werden müssen.
TARMED: Bei den Kleinsten wird nicht gespart
Eine Versachlichung verlangt auch die Behauptung, wonach die prekäre finanzielle Situation einiger Kinderspitäler auf den 2014 erfolgten Eingriff des Bundesrats in die ambulante Tarifstruktur TARMED zurückzuführen sei. Fakt ist: Nach dem bundesrätlichen Eingriff in die Tarifstruktur kann für die Behandlung von Kindern – und älteren Patienten – mehr Zeitaufwand abgerechnet werden als für die Behandlung erwachsener Patientinnen und Patienten. Auch für Elterngespräche ist ein höherer Zeitaufwand als bei Erwachsenen vorgesehen. Überhaupt sind die im separaten Kapitel für Kinder- und Jugendmedizin tarifierten Leistungen hinsichtlich der hinterlegten Zeitaufwendungen grosszügig ausgestaltet: Der Arzt kann zum Teil bis zu 45 Minuten für die regelmässig notwendigen Vorsorgeuntersuchungen eines Kindes aufwenden. In Kombination mit den übrigen, abrechenbaren TARMED-Leistungen ist der Vorwurf, bei den Kleinsten würde gespart, nicht angebracht. Zudem hat santésuisse im ambulanten Bereich, in enger Zusammenarbeit mit dem Verband chirurgisch und invasiv tätiger Fachgesellschaften (FMCH) und der Schweizerischen Gesellschaft für Kinderchirurgie – als Mitglied der FMCH – für die am häufigsten ambulant durchgeführten Eingriffe bei Kindern Pauschaltarife erarbeitet, die eine sachgerechte Leistungsabrechnung sicherstellen.
DRG: Die Spitäler haben es in der Hand
Die sachgerechte Abbildung der stationär erbrachten kindermedizinischen Leistungen in der SwissDRG-Tarifstruktur wird ständig überprüft. Die Kostengewichte – das sind empirisch ermittelte Werte, die den durchschnittlichen Behandlungsaufwand einer Patientengruppe, in diesem Falle der Kinder, beschreiben – werden jährlich anhand aktualisierter Fallkostendaten der Spitäler neu berechnet. Anders ausgedrückt: Die Kinderspitäler haben es in der Hand, die Höhe der Fallpauschalen mit lückenlosen Kosten- und Leistungsdaten zu beeinflussen.
Ungeklärte Mehrkosten
Punkto Abbildungsgenauigkeit der DRG-Tarifstruktur im Bereich der spezialisierten Kindermedizin ist auf Antrag der Allianz Kinderspitäler der Schweiz (AllKidS) 2018 eine Studie durchgeführt worden. Mit zum Teil erstaunlichen Ergebnissen. So wird festgestellt, dass Kinder grundsätzlich kostengünstigere Patienten sind als Erwachsene. Nur Kinder mit einer langen Verweildauer im Spital, sogenannte «Langlieger», sind teurer als ihre erwachsenen Pendants. Festgestellt wurde hingegen, dass auf Kinder spezialisierte Kliniken höhere Kosten verursachen als «normale» Spitäler. Erklärbar sind diese Mehrkosten zum Teil mit der unterschiedlichen Patientenstruktur. Will heissen, die Kinderspitäler behandeln in der Regel komplexere Fälle und müssen die entsprechende Infrastruktur bereithalten. Besonders zu Buche schlagen hier kranke Neugeborene, welche von anderen Spitälern überwiesen werden. Rechnung getragen wird diesem Fakt, indem die Basisraten – der Betrag, der für einen Behandlungsfall mit einem Kostengewicht von 1.0 bezahlt wird – der eigenständigen Kinderspitäler und der grossen (universitären) Kinderkliniken überdurchschnittlich hoch sind. Allen Erklärungen zum Trotz: Unter dem Strich verursachen spezialisierten Kinderspitäler im Vergleich zu anderen Spitälern gut vier Prozent «unerklärte» Mehrkosten. Wobei es auch für das Unerklärte durchaus die eine oder andere Begründung gibt. Dazu gehört die steigende Zahl ambulanter «Notfall »Behandlungen, welche bei einem Pädiater oder einem Hausarzt in besten Händen wären und nicht in ein personalintensives Kinderspital gehören, das für komplexe Fälle und tatsächliche Notfälle ausgerüstet ist.
14 Prozent höhere Kosten
Betrachtet man die Kindermedizin zum Schluss noch von der Kostenseite, so lässt sich feststellen, dass die Kosten pro Kind in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung in den vergangenen fünf Jahren um 14 Prozent gestiegen sind (siehe Grafik). Und damit um beinahe 50 Prozent stärker als die Kosten der Erwachsenen. Nüchtern betrachtet kann vom medienwirksam propagierten «Ausbluten der Kindermedizin» somit nicht die Rede sein.