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29.01.2020

Neuregelung der psychologischen Psychotherapie im Rahmen der OKP

Vorsicht Systemwechsel

Wenn psychologische Psychotherapeuten künftig direkt zulasten der Grundversicherung abrechnen dürfen, so hat dies weitreichende Konsequenzen.

Geht es nach dem Bundesrat, sollen zugelassene Psychotherapeutinnen und -therapeuten auf ärztliche Anordnung hin ihre Leistungen im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) künftig selbstständig erbringen und auf eigene Rechnung abrechnen können. Dies mit dem Ziel, den Zugang zur psychotherapeutischen Versorgung für alle Bevölkerungsgruppen sicherzustellen. Das derzeit für die psychologische Psychotherapie gültige Verordnungsmodell würde durch ein Anordnungsmodell abgelöst. Konkret: Die Regelung, wonach sich der Therapeut im Angestelltenverhältnis zum verordnenden Arzt befinden muss, die Behandlungen durch diesen abzurechnen und auch in dessen Praxisräumlichkeiten durchzuführen sind (delegierte Psychotherapie), würde obsolet. Dieser Modellwechsel bedingt Anpassungen in der Verordnung über die Krankenversicherung (KVV) sowie der Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV). Die Vernehmlassung zu dieser Neuregelung ist Mitte Oktober 2019 abgeschlossen worden.

Das «Ja, aber» von santésuisse

Im Grundsatz unterstützt santésuisse einen Systemwechsel. Er ist die Konsequenz aus der im Jahr 2013 erfolgten Inkraftsetzung des Bundesgesetzes über die Psychologieberufe sowie der entsprechenden Verordnung. Mit der Einführung einer geschützten Berufsbezeichnung sowie national einheitlichen Regelungen betreffend die Aus- und Weiterbildung – und die Voraussetzungen zur Berufsausübung der psychologischen Psychotherapeuten – sind punkto Behandlungsqualität zentrale Bedingungen für einen Modellwechsel erfüllt. Allerdings, und jetzt kommt das Aber: Jeder Eingriff in das komplexe Räderwerk unseres Gesundheitswesens hat Konsequenzen und birgt Fallstricke, ordnungspolitische wie finanzielle. Dies gilt auch für einen allfälligen Wechsel zum Anordnungsmodell in der Psychotherapie.

Anordnungskompetenz einschränken

Eine zentrale Befürchtung der Krankenversicherer ist die Zunahme des Leistungsvolumens in der psychologischen Psychotherapie – und die damit einhergehenden Kostenfolgen für die Prämienzahlenden. Das Stichwort: angebotsinduzierte Mengenausweitung. Befürchtet wird unter anderem eine Zunahme von medizinisch unbegründeten Behandlungen, die auf subjektiven Beeinträchtigungen der Befindlichkeit der Versicherten basieren und nicht auf einem tatsächlichen Krankheitswert. Hier verlangen die Versicherer eine Präzisierung der vorgeschlagenen Regelungen zur Qualitätssicherung: Einen Nachweis psychiatrischpsychotherapeutischer Grundkenntnisse und -kompetenzen der Leistungserbringer einerseits sowie eine weitergehende Einschränkung der Anordnungskompetenz auf bestimmte Facharztgruppen andererseits. Während Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, Kinderpsychiatrie sowie Fachärzte mit einem Fähigkeitsausweis «Psychosomatische und psychosoziale Medizin» zweifelsohne über die nötigen Kompetenzen verfügen, lehnt santésuisse die generelle Anordnungskompetenz der Facharztgruppen aus der erweiterten Grundversorgung – Allgemeine Innere Medizin, Neurologie, Gynäkologie und Geburtshilfe sowie Kinder- und Jugendmedizin – dezidiert ab.

Unterschätzte Kostenfolgen?

2018 belief sich die Summe der abgerechneten Tarifpositionen für die delegierte Psychotherapie gemäss Tarifpool auf etwas mehr als 300 Millionen Franken. Mit einem Wechsel vom Verordnungs- zum Anordnungsmodell rechnet der Bundesrat künftig mit zusätzlichen Kosten von rund 100 Millionen Franken pro Jahr. Er berücksichtigt dabei hauptsächlich die potenzielle Verlagerung aus dem Bereich der Zusatzversicherungen (VVG) in die OKP, nicht aber die Deckung der vermuteten teilweisen Unterversorgung, die zu erwartende angebotsinduzierte Mengenausweitung oder die Mehrkosten, die aus den zusätzlichen Konsultationen und Berichten der anordnenden Fachärzte entstehen. Kommt hinzu, dass es für die Vergütung der psychologischen- psychotherapeutischen Tätigkeit noch keine vom Bundesrat genehmigte Tarifstruktur gibt. santésuisse geht deshalb bei einem Modellwechsel von wesentlich höheren Kostenfolgen aus. Auch deshalb, weil mit der Möglichkeit zur selbstständigen Abrechnung die Attraktivität der Ausbildung und damit einhergehend das Therapieangebot zunehmen werden.

Im Sinne der Prämienzahler

Damit die Krankenversicherer den Systemwechsel von der verordneten hin zur angeordneten Psychotherapie unterstützen können, muss die Verordnungsänderung in mehreren Punkten ergänzt werden. Die Auswirkungen des Modellwechsels hinsichtlich Zugang und Qualität der psychotherapeutischen Versorgung sind systematisch durch eine unabhängige Institution zu überprüfen. Eine entsprechende Regelung ist in die Verordnung aufzunehmen. Zudem sind für den Fall einer übermässigen Mengenausweitung – mit entsprechendem Kostenanstieg – Massnahmen zur Eingrenzung vorzusehen. Kantone oder Versicherer wären zu verpflichten, die Zahl der Therapeuten, die zulasten der OKP abrechnen dürfen, zu limitieren. Entweder durch eine konsequente Zulassungssteuerung durch die Kantone oder aber indem die Versicherer die Möglichkeit erhalten, den Vertragszwang zu lockern. 

Die Vernehmlassungsunterlagen von santésuisse sind hier abrufbar.

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