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24.04.2020

Rechnungs- und Wirtschaftlichkeitskontrolle bei Krankenversicherern

Gute Noten für die Versicherer

Die Kontrolle der Leistungsabrechnungen hat bei den Versicherern einen hohen Stellenwert. Zu diesem Schluss kommt eine vom BAG in Auftrag gegebene Untersuchung. Der Bericht zeigt aber auch: Festzustellen, ob eine Leistung notwendig war – und ob sie überhaupt erbracht wurde –, ist nur mit viel Aufwand überprüfbar.

Wir erinnern uns: 2017 hat eine vom Eidgenössischen Departement des Innern eingesetzte Expertengruppe zahlreiche Massnahmen festgehalten, die in der Grundversicherung spürbare Kosteneinsparungen mit sich bringen sollten. Eine dieser Massnahmen richtet sich konkret an die Krankenversicherer und betrifft die Kontrolle der Leistungsabrechnungen. Sie verlangt, dass die Versicherer die ihnen eingereichten Rechnungen für medizinische Behandlungen und Therapien noch konsequenter als bis anhin auf die Erfüllung der Kriterien Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit (WZW) überprüfen. Damit sollen unrechtmässige Kostenübernahmen verhindert, unnötige Behandlungen vermieden und fehlbare Leistungserbringer finanziell zur Rechenschaft gezogen werden.

Differenzierte Auslegeordnung

Bereits heute entlasten die Krankenversicherer mit ihrer systematischen Rechnungskontrolle die Prämienzahlenden mit rund drei Milliarden Franken jährlich. Dies hat eine Studie des Instituts für Wirtschaftsstudien Basel (IWSB) im Jahr 2018 gezeigt. Anders ausgedrückt: Ohne diese Kontrollmechanismen würden die durchschnittlichen Prämien in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung um mehr als zehn Prozent höher liegen. Ist das Kosteneinsparpotenzial somit ausgeschöpft? Diese Frage beschäftigt auch das Bundesamt für Gesundheit (BAG). Die Aufsichtsbehörde hat deshalb IWSB beauftragt, mittels einer Umfrage* bei den Krankenversicherern die wesentlichen Grundsätze und Eckdaten ihrer Rechnungs- und Wirtschaftlichkeitskontrolle zu ermitteln. Das Resultat ist eine differenzierte Auslegeordnung der heutigen Prüfsysteme und -mechanismen, die den Krankenversicherern insgesamt ein gutes Zeugnis ausstellt. Die Rechnungsund Wirtschaftlichkeitskontrolle geniesst bei den Kassen offensichtlich einen hohen Stellenwert. Sie erfolgt effizient, gezielt und mit Augenmass.

Papierrechnungen sind Kostentreiber

Die Mehrheit der eingereichten Belege bearbeiten die Versicherer heute vollständig automatisiert: Die Prüfung erfolgt elektronisch, wobei zahlreiche Prüfregeln und Auslenkungsregeln zur Anwendung kommen, um fehlerhafte oder missbräuchliche Abrechnungen zu identifizieren. Während bei grossen Kassen – sie verarbeiten pro Jahr mehr als zwei Millionen Belege – zwei Drittel aller Rechnungen automatisch kontrolliert und freigegeben werden, sind es bei kleinen Versicherern (weniger als 100 000 verarbeitete Belege pro Jahr) immerhin bereits ein Fünftel. So oder so: Voraussetzung für die elektronische Bearbeitung der Rechnungen ist deren Digitalisierung. Heute werden den Versicherern allerdings noch längst nicht alle Rechnungsbelege elektronisch übermittelt. Was im Umkehrschluss heisst, dass die Kassen jedes Jahr hunderttausende Papierrechnungen mit grossem administrativem Aufwand zuerst digitalisieren müssen, bevor sie weiter verarbeitet werden können.

Fehlende Standards erschweren Leistungsprüfung

Die meisten Krankenversicherer monieren denn auch, dass nicht standardisierte Abrechnungen eine systematische und effiziente Kontrolle erschweren und hohe Administrativkosten verursachen. In diese Katego-rie gehören insbesondere Leistungsabrechnungen aus dem Ausland, deren Plausibilität oft nur mit grossem Aufwand festzustellen ist. Aber nicht nur. Auch bei verschiedenen inländischen Leistungserbringern erschwert eine fehlende Standardisierung die korrekte Erfassung einzelner Positionen und verunmöglicht deren Vergleichbarkeit. Als Beispiel hierfür gilt der Bereich Transport und Rettung. Schwierigkeiten bereiten gemäss Umfrage oft auch die zum Teil nicht standardisierten Abrechnungen von Pflegefachpersonen, Heilbädern, Neuropsychologen und Ernährungsberatern. Und nicht zuletzt die Leistungsabrechnungen von Pflegeheimen, die mit Bruttotleistungen von rund 1,75 Milliarden Franken pro Jahr zu den bedeutendsten Leistungserbringern gehören. Fehlerhafte oder missbräuchliche Rechnungsstellungen gehen hier schnell ins Geld.

Aufwendige, teure Einzelfallbeurteilungen

 Aufwendig bis unmöglich, so die Versicherer, gestaltet sich auch die Überprüfung der medizinischen Notwendigkeit einer Leistung im Einzelfall, insbesondere im ambulanten Bereich, weil die notwendigen diagnostischen Angaben der Leistungserbringer fehlen. Bei Ungereimtheiten braucht es neben der fachlichen Einschätzung erfahrener Mitarbeitenden der tarifarischen Leistungskontrolle zusätzlich die Überprüfung der verrechneten medizinischen Leistung durch einen Vertrauensarzt. Ein für alle Beteiligten kosten- und zeitintensiver Prozess. Auch bei der Prüfung der Voraussetzungen für eine Kostenübernahme nach den Bestimmungen der Krankenpflege- Leistungsverordnung (KLV) gibt es Faktoren, welche eine automatische Prüfung erschweren. So müssen die Leistungen bei Langzeitbehandlungen wie Psychotherapie, Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie etc. in der Regel manuell kontrolliert werden, um die gesetzlich festgelegte Mengenlimitation feststellen zu können.

Das Dilemma zwischen Aufwand und Ertrag

Das Krankenversicherungsaufsichtsgesetz verpflichtet die Versicherer, ihre Verwaltungskosten auf das erforderliche Mass zu beschränken. Das Krankenversicherungsgesetz (KVG) wiederum verlangt, dass nur Leistungen vergütet werden dürfen, welche die WZW-Regeln erfüllen und Teil des OKPLeistungskatalogs sind. Entsprechend stehen die Versicherer vor der permanenten Herausforderung, Aufwand und Ertrag im Rahmen ihrer Rechnungskontrolle in einem gesunden Verhältnis zu halten. Dies passiert, indem aus Wirtschaftlichkeitsüberlegungen zum Teil eigene Prüfregeln implementiert werden oder bewusst auf bestimmte Fakturierungslimitationen verzichtet wird. Oder aber es kommen Prüfschwellen zum Einsatz, um den Kontrollaufwand zu begrenzen. Diese Schwellen können sich auf einen Rechnungsbetrag beziehen oder auf bestimmte Positionen des ambulanten Arzttarifs TARMED. Wichtig ist, dass diese sogenannten «Auslenkungsregeln» so spezifisch und so sensitiv wie möglich gestaltet sind. Einerseits sollen nur tatsächlich fehlerhafte Belege zur weiteren Kontrolle herausgefiltert werden, andererseits unangebrachte Rechnungen nicht der Kontrolle entgehen.

Das fordern die Versicherer

Alles in allem werden den Krankenversicherern im Hinblick auf die systematische Kontrolle der Leistungsabrechnungen gute Noten attestiert. Der Bericht zeigt aber auch die Grenzen der Rechnungskontrolle auf. Und er thematisiert die Forderungen der Versicherer, um den Prüfprozess in Zukunft noch effektiver und kostengünstiger zu gestalten. Dazu gehören unter anderem: Die gesetzlich verordnete Digitalisierung der Rechnungsstellung. Schweizweit standardisierte, vollständig elektronische Rechnungsstandards würden den Kontrollprozess kostengünstiger und wirkungsvoller machen. Die Einführung zusätzlicher Vorschriften betreffend die Rechnungsstellung sowie griffigere Sanktionsmöglichkeiten gegenüber fehlbaren Leistungserbringern. Gemeint sind damit nicht nur potenziell betrügerische Forderungen, sondern auch technisch oder inhaltlich falsche oder unvollständige Rechnungen. Die konsequente Lieferung diagnostischer Informationen im ambulanten Bereich sowie bei Medikamenten, um WZW-Prüfungen im Einzelfall zu ermöglichen. Der konsequente Versand einer Rechnungskopie an die Patienten zu Kontrollzwecken; auch dann, wenn die Leistungsabrechnung im sogenannten «tiers payant » vom Arzt direkt an den Versicherer geht. Besser verständliche Rechnungen, um den Versicherten die gewünschte Kontrolle der bezogenen Leistungen zu ermöglichen. Mit der Erfüllung dieser Forderungen wären die Voraussetzungen geschaffen, damit die Versicherer ihren gesetzlichen Auftrag zur Leistungsüberprüfung in Zukunft noch wirkungsvoller wahrnehmen könnten. Insbesondere würden die rechnungsübergreifenden sowie fallbezogenen Prüfverfahren enorm erleichtert. Angesichts der Tatsache, dass heute nach wie vor rund zwanzig Prozent aller zulasten der Grundversicherung in Rechnung gestellten Leistungen unnötig sind oder dem Patienten sogar schaden, wäre das zusätzliche Einsparpotenzial beträchtlich.

* Die Studie ist abrufbar unter www.bag.admin.ch > Versicherungen > Krankenversicherung > Kostendämpfung

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