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04.05.2020

Transparenz in der Implantationsmedizin

SIRIS sorgt für mehr Transparenz

Der Jahresbericht 2019 des Implantat-Registers SIRIS enthält erstmals Informationen, die es erlauben, die Qualität von implantierten Hüft- und Kniegelenken anhand von Revisionsraten zu beurteilen.

Es war Ende 2018, als die «Implant- Files» international für Schlagzeilen sorgten: Gegen Medizinproduktehersteller, Ärzte und Aufsichtsbehörden wurden damals zum Teil schwere Vorwürfe erhoben. Aufgedeckt worden sind Missstände bei der Zulassung und Überwachung von Implantaten und Prothesen. Auch in der Schweiz gab es Fälle von fehlerhaften oder verunreinigten Hüft-, Knie- und Wirbelsäule- Implantaten, die bei den betroffenen Patientinnen und Patienten zu teilweise schweren gesundheitlichen Schäden geführt haben. Von der medialen Aufmerksamkeit profitiert hat in der Folge SIRIS, die Schweizerische Stiftung zur Förderung der Qualität in der Implantationsmedizin: Die Recherchen des Journalistennetzwerks haben der Notwendigkeit eines umfassenden Implantatregisters zur Qualitätsentwicklung neuen Schub verliehen.

Die «statistischen Ausreisser»

SIRIS führt seit 2012 ein Register aller in der Schweiz implantierten Hüft- und Knieprothesen; erfasst und dokumentiert sind bis dato mehr als 200 000 Eingriffe. Statistisch ausgewertet werden die Daten vom «SIRIS Scientific Advisory Board», gemeinsam mit der registerbetreibenden Organisation SwissRDL der Universität Bern. Gemäss dem SIRIS-Jahresbericht 20191 erlaubt eine robuste Datenlage nun erstmals, die Leistungsqualität von Implantaten anhand von Revisionsraten2 nach genau definierten Regeln zu beurteilen. Die Werte ermöglichen Aussagen über die Qualität der implantierten Produkte einerseits und der chirurgischen Eingriffe andererseits. Für die Erhebungsjahre 2012 bis 2018 sind zwölf Implantatsysteme als «statistische Ausreisser» – sogenannte «Outlier3» – ermittelt worden. Andreas Mischler, Leiter der SIRIS-Geschäftsstelle, erklärt: «Wir wissen, in welchen Jahren wie viele der betroffenen Produkte in welcher Klinik bei welchen Patienten – Geschlecht, Gewicht, Gesundheitszustand – eingesetzt wurden. Wir kennen die Revisionsgründe ebenso wie die Revisionsraten typenähnlicher Implantate». Das «SIRIS Scientific Advisory Board» hat jeden Fall ausführlich dokumentiert und zuhanden der Qualitätsverantwortlichen des jeweiligen Spitals sowie den Länderverantwortlichen der Herstellerfirmen einen «Outlier»-Report mit entsprechenden Handlungsempfehlungen zur Verfügung gestellt. Dabei ist wichtig zu wissen, dass es sich bei einem «Outlier» nicht zwingend um ein problematisches Implantat handeln muss. Genauso gut können die Gründe für eine Revisionsoperation beim Operateur, bei der Betreuung und nicht zuletzt in der Eigenverantwortung des Patienten liegen.

Fokus auf Leistungsqualität

Der SIRIS-Report 2019 ist medial auf Interesse gestossen. Wobei gemäss Andreas Mischler bei den Medien eine gewisse Ernüchterung spürbar ist, weil konkrete, auch für den Laien interpretierbare Leistungsdaten pro Spital fehlen: «Für die Öffentlichkeit sind die Daten der einzelnen Spitäler im Report verschlüsselt und nur als Punkte abgebildet, wobei sich die meisten Spitäler aktuell innerhalb derselben Bandbreite bewegen (siehe Grafik). Aber bereits im nächsten Berichtsjahr wird sich dies ändern, wenn wir die Zweijahres-Revisionsraten für Hüft- und Knieimplantate unter Nennung der Klinikveröffentlichen. Ab 2020 wird ausserdem ‹SIRIS Spine› aufgebaut, eine Erweiterung der Registertätigkeit auf Wirbelsäulen-Implantate. Dies innerhalb des Qualitätsvertrags des Nationalen Vereins für Qualitätssicherung in Spitälern und Kliniken (ANQ), den involvierten medizinischen Fachverbänden sowie der europäischen Wirbelsäulengesellschaft EUROSPINE. Nicht ändern wird sich, dass die Auswertungen in erster Linie für ein Fachpublikum bestimmt sind. Sie sollen Chirurginnen und Chirurgen, Qualitätsbeauftragten sowie Herstellern wertvolle Hinweise zur Verbesserung ihrer Leistungsqualität geben. Die Daten werden international diskutiert und verglichen; übrigens auch der Grund, weshalb der SIRIS-Report nur in englischer Sprache verfügbar ist».

Hersteller in der Pflicht

Vitales Interesse an fundierten, aussagekräftigen Registerdaten haben auch die Implantat- Hersteller. Diese arbeiten seit Jahren mit viel Aufwand an der verpflichtenden Umsetzung einer neuen europäischen Medizinprodukteverordnung sowie an der von den EU-Mitgliedstaaten betriebenen Datenbank zur zentralen Verwaltung von Medizinprodukten (Eudamed). Letztere wird es den Patientinnen und Patienten ermöglichen, sich künftig über die Evidenz des vom Arzt vorgeschlagenen Implantats selber ein Bild zu machen. SIRIS wiederum bietet den Herstellern die Möglichkeit, standardisierte Produkte- Auswertungen auf der Basis der vorhandenen Registerdaten zu liefern. Künftig wird es sich kein Hersteller mehr leisten können, Produkte zu vertreiben, deren Qualität nicht auf einer soliden Datenbasis dokumentiert ist.

National verpflichtendes Obligatorium

Spätestens mit der Veröffentlichung der «Implant Files» 2018 ist in der Schweiz der Ruf nach einem nationalen Implantatregister wieder laut geworden. Ein Register, das alle medizinischen Disziplinen erfasst und die Ergebnisqualität professionell auswertet. Eine sinnvolle Forderung, dieser Meinung ist auch Andreas Mischler: «Damit dies mit vertretbaren Kosten und ebenso vertretbarem Aufwand möglich wird, braucht es allerdings einheitliche Rahmenbedingungen für die Datenerfassung. Dazu gehören unter anderem die Patienteneinwilligung, die Patienten- ID sowie die Möglichkeit, verschiedene Datenquellen miteinander zu verknüpfen (Datenlinkage) und gleichzeitig den Datenschutz zu gewährleisten. Zudem wäre die Erhebung der Lebensqualität des Patienten vor und nach dem Eingriff ein wichtiger Ansatz, um den Nutzen der Operationen besser erfassen zu können. Hierfür sind nicht alleine die Leistungserbringer in der Pflicht, sondern auch der Staat. In seiner Hand liegt es, ein national verpflichtendes Obligatorium zur Registerführung zu verordnen».

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