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Reformen im Gesundheitswesen
Zu viele Stellschrauben
Die Regulierungsdichte auf Bundes- und Kantonsebene im Gesundheitswesen ist hoch, Tendenz steigend. Mit zahlreichen Einzelmassnahmen wird versucht, Nachfrage und Angebot von medizinischen Leistungen in Übereinstimmung zu bringen. Erfolgversprechender sind qualitätsorientierte Ansätze wie beispielsweise ambulante Pauschalen, welche die Vergütung von Leistungen vom Zeitaufwand entkoppeln, dafür aber mit der Qualität verknüpfen.
Im Parlamentsbetrieb von National- und Ständerat sind permanent über 250 Geschäfte mit Bezug zum Gesundheitswesen hängig. Die überwiegende Mehrheit betrifft spezifische Einzelfragen. Selbstverständlich ist ein Parlament befugt, sich mit jeder Frage, und sei sie noch so unbedeutend, zu beschäftigen. Allerdings muss das gleichzeitige Drehen an vielen kleinen Stellschrauben nicht zwingend zu langfristig guten Lösungen führen. In vielen Fällen werden Massnahmen beschlossen und in Kraft gesetzt – nur um bald überholt zu werden von neuerlichen Anpassungen, Verordnungen oder Regulierungen. Unter diesen Umständen ist es meistens gar nicht möglich, die Wirkung von Systemänderungen zu messen, geschweige denn beurteilen zu können.
Nichts ist teurer als schlechte und überflüssige Leistungen
Alle Akteure sind gefordert, ihren Beitrag zu einem auch in Zukunft bezahlbaren und qualitativ guten Gesundheitssystem zu leisten. Trotzdem scheint endlich die Erkenntnis an Boden zu gewinnen, dass der Hebel primär auf der Seite der Leistungserbringung anzusetzen ist. Ein im November 2019 veröffentlichter Qualitätsbericht, der im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit (BAG) erstellt wurde, stellt Mängel fest und zeigt auf, dass die Schweiz ihre Anstrengungen für die Sicherheit der Patienten und die Qualität erhöhen muss. Und der Fachverband der chirurgisch und invasiv tätigen Ärzte (FMCH) hat einen Ehrenkodex vorgestellt, der seine Verbandsmitglieder anhalten soll, nur im Interesse der Patientinnen und Patienten zu handeln. Beide Ereignisse zeigen aus völlig gegensätzlichen Ecken, wo anzusetzen ist. Es liegt nun an den Entscheidungsträgern der nationalen und kantonalen Gesundheitspolitik, die Zeichen der Zeit für die Sicherung eines bezahlbaren und qualitativ guten Gesundheitssystems richtig zu deuten und die entsprechenden ordnungspolitischen Weichen zu stellen.
Die Krux mit den kantonalen Stellschrauben
Das Problem dabei: Die gesundheitspolitischen Interessen auf nationaler Ebene sind längst nicht identisch mit denjenigen in den Kantonen. Aber so lange die Sicherstellung der Gesundheitsversorgung eine kantonale Aufgabe ist, so lange werden wir in unserer kleinen Schweiz faktisch 26 mehr oder weniger divergierende Gesundheitssysteme haben. 26 Gesundheitsdirektionen, die ihre Spitalinfrastruktur schützen und ausbauen. 26 Kantone, die sich punkto ambulanter ärztlicher Versorgung wenig um Patientenströme kümmern, um überkantonale Versorgungsstrukturen und um längst vorhandene Fakten betreffend die in vielen medizinischen Fachbereichen galoppierende Tendenz zur Überversorgung. Die Frage ist also durchaus erlaubt, wie lange sich die Schweiz im Gesundheitswesen diesen kostspieligen föderalistischen Ansatz noch leisten kann und will, angesichts des enormen Kosteneinsparpotenzials, dass hier brach liegt. Ob dereinst jemand den Mut – und den langen Atem – haben wird, an der Stellschraube «Kantönligeist» ordentlich zu drehen, muss sich noch zeigen.
Wettbewerbsdruck fördert Strukturwandel
Trotz des unübersehbaren Handlungsbedarfs auf Seiten der Leistungsbringer sowie der nationalen und kantonalen Entscheidungsträger werden auf dem politischen Parkett immer wieder die Krankenversicherer für die Kostenentwicklung zumindest mitverantwortlich gemacht. Dabei wird ausgeblendet, dass die Krankenversicherer bereits einen enormen Anpassungs- und Veränderungsprozess hinter sich haben. 1920 waren noch fast 1000 Krankenkassen tätig. 1995, unmittelbar vor der Inkraftsetzung des KVG, waren es noch 166. Mit dem KVG wurde das Ziel des Gesetzgebers, die Zahl der Kassen weiter zu verringern, erreicht: Heute sind noch 51 Krankenversicherer in der Grundversicherung tätig. Die starke Veränderung der Zahl der zugelassenen Krankenversicherer verdeutlicht, dass ineffiziente Strukturen oder nicht mit der nötigen Umsicht geführte Unternehmen früher oder später ihre Existenzberechtigung verloren haben. Ein vergleichbarer Strukturwandel ist hingegen auf der Leistungserbringerseite bisher ausgeblieben. Die Folgen müssen die Steuer- und Prämienzahler tragen. So nehmen einige Kantone erst jetzt – nach drohenden Defiziten der Spitäler - die ihnen mit der neuen Spitalfinanzierung von 2012 aufgetragene Aufgabe der Bedarfsplanung ernsthaft in die Hand. Eine kürzlich publizierte Studie von PWC spricht davon, dass die Phase des volumengetriebenen Ausbaus der Angebote bald zu Ende geht und es zu einer Konsolidierung kommen wird. Gefragt seien neue Strategien mit an der Qualität und an grösseren Versorgungsregionen orientierten Angeboten der Spitäler. Bei der ambulanten ärztlichen Versorgung ist eine griffigere Zulassungssteuerung nach dem heutigen Stand der Beratungen im Parlament in weite Ferne gerückt. Sofort umsetzbar im Rahmen der bestehenden Tarifstruktur sind dagegen ambulante Pauschalen. Durch die Verknüpfung mit qualitätssichernden Massnahmen liessen sich überflüssige Leistungen verhindern und Kosten könnten vermieden werden.